Dann bin ich eben nicht mehr deine Freundin!
Wenn sich Kinder streiten, geht mir das tierisch auf die Nerven. Warum ich es trotzdem hinnehmen muss.
Damals als ich klein war… – oh Mann, hätte nicht gedacht, dass ich jemals einen Text mit diesem Satz anfange. Ich werde alt! Nein, ich BIN alt!!!
Also, damals jedenfalls, als ich noch ein Kind war, haben sich meine Eltern aus allem herausgehalten, was sie für meine Angelegenheit hielten. Ob Freunde, Schule oder Hobbys, ich durfte alles selbst entscheiden. Und das Beste: Sie hielten mit ihrer Meinung darüber hinterm Berg!
Keine Ahnung, wie sie das geschafft haben, sich nicht einmal (negativ) zu äußern. Es ist mir ein Rätsel. Ich kriege das jedenfalls nicht auf die Reihe. Andauernd rege ich mich über etwas auf – und das sage ich meinen Kindern auch.
Allerdings bin ich mir alles andere als sicher, ob meine mütterliche Einmischung angebracht ist…
Darf ich mich einmischen?
Neuerdings bringt mich die allerallerbeste Freundin meiner fünfjährigen Tochter immer wieder auf die Palme. Und wie sie mich aufregt! Ich könnte ausrasten!!!
Dialog Tochter (T) – Freundin (F):
T: Ich schaue mir jetzt dieses Buch an.
F: Ich möchte das aber nicht.
Tochter setzt sich hin und klappt das Buch auf, schaut sich die Bilder an.
F: Ich sagte, ich möchte das Buch nicht anschauen.
Tochter sagt nichts, weil sie sich ins Buch vertieft hat.
F: Dann gehe ich eben.
Freundin geht und ist nach ein paar Metern außer Sichtweite. Tochter widmet sich auch weiterhin dem Buch. Nach einer Minute taucht die Freundin wieder auf. Von weitem ruft sie:
F: Mach doch, was du willst! Ich bin nicht mehr deine Freundin.
Tochter legt das Buch weg und läuft zur Freundin, um dieser zu zeigen, wie wichtig sie ihr ist.
F: Ich BIN NICHT MEHR deine Freundin! Lass mich in Ruhe!
Freundin läuft ein paar Schritte, Tochter ihr hinterher.
F (schreit): Lass mich in Ruhe, sagte ich!!!
Freundin rennt nun weg. Tochter ist ihr immer noch auf den Fersen.
F (schreit immer noch): Geh weg! Ich will dich nicht mehr sehen. Geh endlich weg!!!!
Tochter weiß nicht, was sie tun soll, schweigt.
So, bis dahin dachte ich noch, dass ich sie mal machen lasse, irgendwann kriegen sich die Mädels schon wieder ein. Doch an dem Punkt, als ihre Freundin meine Tochter schreiend bat, aus ihrem eigenen Zuhause abzuhauen, ging ich dazwischen.
Geht es um Macht – oder einfach um die Sehnsucht nach Anerkennung?
Ich schlug dem Mädchen (das immer noch in Rage war und sich in seiner Opferrolle förmlich suhlte) vor, sie nach Hause zu bringen, da sie ja keine Lust mehr hatte, mit meiner Tochter zu spielen. Mein Vorschlag war übrigens kein Psychotrick, sondern kam von Herzen: Ich hätte das Mädchen wirklich gern wieder zu ihrer Mutter gebracht. Das aber verneinte sie – sie wollte lieber bleiben. Plötzlich wurde sie ganz lieb und kommunizierte in normaler Lautstärke mit meiner Tochter.
Der Nachmittag fing jedoch gerade erst an. Auf mich warteten noch zahlreiche kleine Streitereien, die ich nur noch am Rande zur Kenntnis nahm, ohne einzuschreiten. Sie wurmten mich aber gewaltig. Ich habe nämlich das Gefühl, dass bei diesen Streitereien im Grunde stets das gleiche Motiv im Vordergrund steht: Macht über den anderen zu erlangen.
Die eine ist bestimmend, die andere devot. Versucht sich das devote Kind auch mal eine Stimme zu verschaffen, wird es sofort zurechtgewiesen, z.B. so:
F: Entschuldige dich gefälligst bei mir!
T: Entschuldigung.
F: Du sollst dich richtig entschuldigen!
T: Ich habe doch „Entschuldigung“ gesagt.
F: Aber nicht richtig. Das klang nicht richtig. Du musst es so sagen: Entschuldigung.
Freundin spricht das Wort in veränderter (extrem freundlicher) Tonlage aus.
Tochter äfft sie nach, bis der Freundin die Aussprache des Wortes gefällt und sie die Entschuldigung akzeptiert.
Sie streiten heftig und liegen sich 5 Minuten später wieder in den Armen: Kinder ticken anders, wenn es um Freundschaften geht
Ich könnte kotzen, wenn ich sie so reden höre. In solchen Momenten wird mir bewusst, dass echt keine Pädagogin an mir verlorengegangen ist. Ich würde die Kinder am liebsten anschreien vor Wut.
Stattdessen sollte ich lieber tief durchatmen und mir vergegenwärtigen, was im Kindergartenhandbuch>> steht:
Streiten darf nie mit „böse sein“ gleichgesetzt werden. Wenn Streit entsteht, gilt es, einen Konflikt zu lösen. Konflikte lösen zu lernen ist ein wichtiges Ziel unserer Erziehung im Kindergarten. Konflikte so zu lösen, dass es letzten Endes keinen Gewinner und keinen Verlierer gibt, sondern jeder mit einem Kompromiss leben kann, müssen die Kinder durch eigene Erfahrung lernen.
Oh Gott, finde mal einen Kompromiss, wenn du auf 180 bist! Der Best Case (Kompromisssuche) wurde von mir also nicht angewandt. Doch immerhin habe ich auch nicht geschrien…
Ich habe meine Tochter in einem ruhigen Moment zur Seite genommen und auf sie eingeredet, sich doch B-I-T-T-E andere Freunde zu suchen – oder allein zu spielen, notfalls eben mit mir!
Das hätte ich mir sparen können, denn bei Freundschaften hört die elterliche Einflussnahme definitiv auf. Töchterlein hörte mir zwar zu, vergaß das Gesagte aber sofort. Sie wollte sich lieber wieder in Rollenspiele mit ihrer allerallerbesten Freundin vertiefen.
Das Kindergartenhandbuch schreibt dazu:
Kinder müssen selbst entscheiden können, wie lange sie eine Freundschaft aufrechterhalten wollen. Nur sie selbst können wissen, wie lange die Freundschaft für sie Bedeutung hat. Erwachsene sollten Kinderfreundschaften genauso ernst nehmen wie ihre eigenen Beziehungen zu Freunden. Sie sollten mit den Kindern trauern, wenn eine Freundschaft zerbricht, den Kindern helfen, neue Freunde zu finden, die Kinder unterstützen, wenn sie von Eifersucht oder Neid geplagt werden. Um im späteren Leben stabile Bindungen eingehen zu können, müssen Kinder die Erfahrung machen, dass es sich lohnt, für einen Freund etwas zu opfern, die Freundschaft auch über Schwierigkeiten hinweg aufrechtzuerhalten, sich wieder zu versöhnen, einander entgegenzukommen.
Vermutlich habe ich es selbst nie gelernt, denn es fällt mir wahnsinnig schwer, Freundschaften zu pflegen. Meistens folgen sie dem Prinzip „Aus den Augen, aus dem Sinn“. Warum sollte ich meine Tochter daran hindern, es besser zu machen als ich? Freunde zu haben, ist schließlich schön:
Mit einer Freundin fühlt man sich doch gleich viel wichtiger, größer und stärker. Für das Selbstbewusstsein jedes Kindes ist es wichtig, einen Freund zu haben.
Auch wenn mich ihre Streits nerven, so weiß ich jetzt, dass ich sie tolerieren muss – den Kindern zuliebe. Für sie sind diese Auseinandersetzungen ein Lernprozess, an dem sie täglich ein kleines Stückchen wachsen.
So viel zur Theorie. Doch mal ehrlich, das klingt doch wohl eine Spur zu verständnisvoll, oder?
Ich lese wirklich gern im Kindergartenhandbuch und habe mir dort schon den ein oder anderen Rat geholt. Aber die himmelschreiende Ungerechtigkeit, die aus vielen Streitereien erwächst, macht mich echt fertig. Ich kann darin nur eines erkennen, nämlich ein bleibendes Ungleichgewicht:
Was hat es denn nun mit der Machtausübung auf sich?
Ich möchte nicht den Eindruck erwecken, dass sich meine Tochter ständig streitet. Im Gegenteil, mit den meisten Kita-Kumpels kommt sie gut zurecht. Wenn es doch mal Auseinandersetzungen gibt, dann sind die so unerheblich, dass sie schnell wieder vom Tisch sind.
Bei ihrer allerallerbesten Freundin aber beschleicht mich ein ungutes Gefühl, weil ich merke, dass sich unter den Kindern bestimmte Rollen verfestigen. Wie oben erwähnt, nehme ich schon länger zur Kenntnis, dass meine Tochter eher der Typ „Mitläufer“ ist – und gerne befolgt, was dominantere Kinder ihr sagen.
Klar, man muss nicht jeden Quatsch aushandeln, oft ist es ja schön, dass sie einer Meinung sind. Aber kaum wagt Töchterlein, ihr eigenes Ding zu machen, wird ihr gleich mit dem (ungefähr 1000mal täglich geäußerten) Satz „Dann bin ich nicht mehr deine Freundin!“ gedroht – und schwupps spurt sie.
Wie lange mag das wohl so weitergehen? -Nun ja, vermutlich kürzer als gedacht, so wankelmütig wie Kinder sind… ;)
Aus rein pädagogischer Sicht sind wir Eltern dazu aufgefordert, uns zurückzuhalten, sollen also nicht schlichtend eingreifen. Schließlich sollen die Kinder ihre Konflikte selbst lösen. Wenn das nicht geradezu danach schreit, sich entspannt zurückzulehnen!
LG Anne!!!