Waldorfschule: Alternative zur Regelschule?
Immer wenn ich an der Schulbildung meines Kindes zweifle, denke ich mir: „Vielleicht sollte ich es auf eine Waldorfschule schicken“. Ohne dass ich Waldorfschulen je näher kennen gelernt hätte, erscheinen sie mir wie ein fernes Schulideal. Fern, weil mich die Vorstellung abschreckt, für eine Schule Geld zu bezahlen. Fern auch deshalb, weil sie sich nicht wie staatliche Schulen „um die Ecke“ befinden, sondern „irgendwo anders“. Und ideal… Ich muss zugeben, dass ich es schon ideal finde, wenn eine Schule keine Noten vergibt.
Das ist bei Waldorfschulen der Fall. Aber wodurch kennzeichnen sie sich noch? Es wird Zeit, meine Traumvorstellungen mit Fakten zu belegen – oder eben zu widerlegen:
Zu diesem Zweck habe ich die Mama-Bloggerin Stefanie nach ihrer eigenen Erfahrung befragt. Die 26-jährige Mutter, die auf ihrem Blog „Erbstück Liebe“ von ihrem Familienalltag erzählt, hat eine Waldorfschule besucht. Vor Ostern hat sie sich die Zeit genommen, mir die folgenden Fragen zu beantworten:
topE: Was meinst du, eignet sich Waldorf für jedes Kind?
Stefanie: Nein, ich denke nicht. Sehr ehrgeizige Kinder (soll es ja geben ;-)) oder solche die deutlich schneller lernen, sind meiner Meinung nach besser auf einer Regelschule aufgehoben.
topE: Hast du den Schulbesuch auf der Waldorfschule als eher positiv oder negativ empfunden?
Stefanie: Für mich war das eine wunderbare Sache! Ich war eine sogenannte Quereinsteigerin, d.h. ich bin erst in der 8. Klasse von der Regelschule auf die Waldorfschule gewechselt.
topE: Worin besteht der signifikanteste Unterschied zu staatlichen Schule?
Stefanie: Mal abgesehen von so einem Fach wie Eurythmie* wohl in der Unterrichtsform. Von der 1. bis zur 8. Klasse bleibt die Schülerzusammensetzung gleich (abgesehen von Ab- und Zugängen), genauso wie der/die Klasslehrer/in. Fast alle Fächer werden in Epochen unterrichtet (z.B. 3 Wochen jeden Vormittag die ersten beiden Stunden Biologie), die Kernfächer, wie Deutsch, Mathe, usw. werden zusätzlich ganz normal jede Woche in Übungsstunden unterrichtet. Noten gibt es zudem auch nicht, sondern nur schriftliche Beurteilungen. Ab der 9. Klasse ähnelt der Unterricht immer mehr dem der Regelschule. In der 12. Klasse wird der Waldorfabschluss in den Fächern Eurythmie und Musik gemacht. An meiner Schule konnten wir im 13. Schuljahr das Abitur machen oder auch schon vorher ab der 10. Klasse den Realschulabschluss. Es war zudem problemlos möglich zuerst den Realschulabschluss zu machen und anschließend weiter zu machen und dann das Abitur.
topE: Wie kann ich mir den Unterricht in einer Waldorfschule vorstellen?
Stefanie: Wie gesagt sind die ersten beiden Unterrichtsstunden Epochen, so dass ein Thema über Wochen intensiv behandelt werden kann. Da es (fast) keine Schulbücher gibt, führen die Schüler sogenannte Epochenhefte, die sie selbst anlegen und gestalten dürfen. Die restlichen Stunden sind sehr ähnlich zu denen der staatlichen Schule, also Deutsch, Mathe, Sport, Musik, Handarbeiten, aber auch Sprachen. Ab der 1. Klasse wird Englisch, sowie eine zweite Fremdsprache (in meinem Fall war das Französisch) unterrichtet. (Sehr informativ ist diese Seite: http://www.waldorfschule-erlangen.de/epochenunterricht.html )
topE: Würdest du deinem Kind den Besuch einer Waldorfschule empfehlen?
Stefanie: Meine Tochter ist erst vier Monate alt, daher lässt es sich noch nicht sagen, ob die Waldorfschule etwas für sie wäre. Aber für mich steht es durchaus zur Diskussion. Sollte sie ähnlich wie ich als Kind sein, wäre es auf jeden Fall das Richtige für sie, wenn sie eher nach meinem Mann schlägt dann wohl nicht. Ich war als Kind sehr verspielt, hatte viel Phantasie und habe es geliebt zu basteln. Mein Mann dagegen war sehr analytisch, hat immer alles erkundet und zerlegt, weil er wissen wollte, wie es funktioniert.
topE: Waldorfschulen erheben ein Schulgeld: Wie viel kostet der Besuch einer Waldorfschule etwa?
Stefanie: Soweit ich weiß, handhabt das jede Schule etwas anders. Bei uns wurde das anhand des Einkommens der Eltern festgemacht. Aktuell ist es gestaffelt und beträgt beim ersten Kind 6% des Einkommens pro Jahr.
topE: Wie wurde es von deinem Arbeitgeber aufgenommen, dass du auf einer Waldorfschule warst?
Stefanie: In der Regel sehr positiv. Die ein oder andere spöttische Bemerkung fällt immer (ganz klassisch: „Tanz mal deinen Namen“), aber meist folgen gleich sehr interessierte Fragen.
Ich danke Stefanie ganz herzlich für die Einblicke, die sie mir gegeben hat!
Was macht eine Waldorschule aus?
Von den persönlichen Eindrücken möchte ich nun zu den Fakten übergehen, die ich im Internet recherchiert habe.
Waldorschulen gibt es überall auf der Welt, insbesondere aber in den reichen Industrienationen. Sie haben einige berühmte Persönlichkeiten hervorgebracht, die v.a. dem Schaupielfach zuzuordnen sind. So haben etwa Sandra Bullock, Jennifer Aniston und August Diehl Waldorfschulen besucht.
Die Waldorfpädagogik wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts von Rudolf Steiner begründet. Er ist darüber hinaus der Begründer der Anthroposophie, einer spirituellen Weltanschauung, die sich auch im Unterricht an den Waldorfschulen wiederfindet. Dieser will Wissenschaft, Kunst und Religion zu ihrer als urtümlich angenommenen Einheit zurückführen mit dem Ziel, ein vom Staat unabhängiges Geistesleben zu schaffen.
Wie im Interview mit Stefanie berichtet, werden die Jahrgangsstufen von der 1. bis zur 8. Klasse durchgängig von einem Klassenlehrer unterichtet. Lehrbücher werden nicht verwendet, ebenso wenig werden Noten vergeben. Dass bloßes Verstandeswissen vermittelt wird, soll an Waldorfschulen vermieden werden. Neben den klassischen Unterrichtsfächern werden Handarbeit und Eurythmie gelehrt:
*Zu Beginn des letzten Jahrhunderts (ab 1911) wurde die Eurythmie durch den Begründer der Anthroposophie Rudolf Steiner (1861–1925) entwickelt. Er schuf zwischen 1911 und 1925 mit der Eurythmie eine expressionistische Kunst, eine Gebärdensprache, die dasjenige durch den ganzen Leib als bewegte Plastik auszudrücken vermag, was durch Sprache sehr umständlich zu beschreiben und vermitteln ist. Steiner entwickelte eine Vielzahl von einfachen bis komplexen Eurythmieformen zu Gedichten und Tonstücken, die heute auch als Choreografien bezeichnet werden, deren Verständnis und Beherrschung ein Ziel einer Eurythmieausbildung ist. (aus: Wikipedia)
Kritik an der Waldorfpädagogik
Obwohl Waldorfschulen gesellschaftlich und politisch anerkannte Schulen sind, haftet ihnen etwas Esoterisches an. Kritiker behaupten sogar, dass insbesondere der Geschichtsunterricht stark von wissenschaftlich belegbaren Fakten abweicht. So werde den Schülern bspw. beigebracht, dass die ersten Menschen aus Atlantis stammen. Dies sei verbunden mit einer obskuren Rassenlehre.
Damit die Schulen dennoch als Schulen in freier Trägerschaft in Deutschland anerkannt werden, würden den Kultusministerien abweichende Lehrpläne übermittelt.
Wenn man den Kritikern glaubt, so gewinnt man den Eindruck, bei der Anthroposopie, also der Lehre, die „Waldorf“ zugrunde liegt, handele es sich um eine eigenständige Religion.
[Wenn ihr mehr darüber lesen wollt, kann ich euch die folgende Webseite empfehlen>>]
Ob das tatsächlich stimmt, kann ich nicht beurteilen. Auf jeden Fall erleiden Waldorfschulen als DIE Alternative zur Regelschule dadurch einen Dämpfer. Interessenten sollten sich darüber im Klaren sein, dass die Anthroposophie eine Weltanschauung ist, die von unserer vorherrschenden abweicht. Die Lehrinhalte des Unterrichts an Waldorschulen dürften deshalb mitunter dubios anmuten. Immerhin ist eine Horizonterweiterung beim Nachwuchs garantiert.
Mit Sicherheit sind weder Regelschulen noch Waldorfschulen perfekt. Sind Eltern auf der Suche nach einer geeigneten Schule für ihren Nachwuchs noch unsicher, gilt es abzuwägen, ob die Vorteile, die man in der Waldorfpädagogik sieht, die der staatlichen Schulen überwiegen.