Wegweiser für unsichere Zeiten

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Mama-, Papa- und Familienblogs widmen sich fast ausschließlich der Rezension von Kinderbüchern. Das ist toll. Schließlich ist es für den Laien schier unmöglich, in dem riesigen Wust aus etablierten Büchern und Neuerscheinungen den Überblick zu behalten.

Dabei scheint das elterliche Lesevergnügen ein wenig auf der Strecke zu bleiben. Schade, denn: Du öffnest ein Buch, das Buch öffnet dich. (Chinesisches Sprichwort) Ein Leben ohne Bücher? –Unvorstellbar! Wenn du nicht weißt, welches du als nächstes lesen sollst, ich hätte da gleich drei Empfehlungen…

Bücher, die Licht ins Dunkel bringen

Es ist schon seltsam. Nie ging es uns besser – und doch klagt ein nicht unbeträchtlicher Teil unserer Gesellschaft darüber, sich abgehängt zu fühlen. In den USA wurde entgegen aller Erwartungen Trump zum Präsidenten gewählt. In Polen spucken einige Leute auf den Fernsehbildschirm, wenn Angela Merkel zu sehen ist, weil „sie die Weltordnung gefährdet“. Und in meiner Heimatstadt Dessau waren sich viele Bürger einig, als der Afrikaner Oury Jalloh in seiner Gefängniszelle verbrannte: Endlich ein Schwarzer weniger in diesem Land, der Frauen belästigt und mit Drogen dealt. Von Mitgefühl keine Spur.

Was ist nur los? Was ist passiert? –Erklären konnte ich mir das alles nicht und habe deshalb ein paar Bücher gelesen, die Licht ins Dunkel bringen sollten.

Abenteuer Freiheit – ein Wegweiser für unsichere Zeiten

Von Carlo Strenger (Professor der Psychologie an der Universität Tel Aviv)

Dieses Buch enthält so viele wertvolle Denkanstöße, dass ich mit dem Kleben von Post-its gar nicht hinterherkam. Dabei geht Strenger vornehmlich der Frage nach, weshalb so viele Menschen in den westlichen Wohlstandsgesellschaften unzufrieden sind. So unzufrieden, dass sie zum Beispiel die AfD wählen oder für den Brexit stimmen oder der Demokratie den Rücken kehren oder…

Strengers Antwort lautet wie folgt:

Ein schwieriges oder misslungenes Leben sei die Folge einer nicht erbrachten Dienstleistung, die uns die Welt schuldig ist. […] Die Gesellschaft schulde ihnen nicht nur eine gute Schulausbildung und gesundheitliche Fürsorge auf dem neuesten Stand der medizinischen Forschung, sondern auch Anerkennung, materielles Wohlergehen und Respekt für ihre individuelle und kollektive Identität. Menschliches Glück soll im Westen nicht mehr ein seltener, hart zu erarbeitender und instabiler Zustand sein, sondern ein Geburtsrecht.

Ist es aber nicht.

Warum es sich dennoch lohnt, für die Freiheit einzutreten, beschreibt Strenger mit viel Nachdruck. Er räumt allerdings ein, dass Freiheit auch belastet und diese Last getragen werden muss. Freiheit und Schmerz bilden nur allzu oft eine Symbiose.

Dem Schmerz widmet sich auch das folgende Buch. Darüber hinaus thematisiert es Hass und Gewalt und die Abneigung gegen die Freiheit:

Der Fremde in uns

Von Arno Gruen (Psychoanalytiker)

Wieder so ein Buch voller Aha-Momente. Grandios und spannend zu lesen! Gruen untermauert seine Theorien nämlich immer wieder mit Beispielen aus seiner therapeutischen Praxis. Noch häufiger stellt er aber historische Bezüge her: Gruen ergründet, wie es möglich war, dass Hitler vom deutschen Volk so tatkräftig unterstützt wurde – und welche Rolle dabei die Erziehung spielte.

Erst gegen Ende seiner Ausführungen geht Gruen näher auf die aktuellen Geschehnisse ein. Da schreibt er zum Beispiel:

Individuelle Nicht-Identität und der Zerfall gesellschaftlicher Strukturen stehen in einer Wechselwirkung zueinander: Gesellschaftliche Strukturen vermitteln Menschen ein Gefühl der Zugehörigkeit und geben denen eine Identität, die von sich aus keine oder nur wenig davon haben. Veränderungen der Strukturen gehen für solche Menschen mit existentiellen Verunsicherungen einher. Dies führt in der Regel dazu, dass Krankheits- und Mortalitätsraten steigen oder/und verstärkt Gewalttätigkeit und Hass ausbrechen. Es geht also nicht allein um die Diskrepanz von reich und arm. Entscheidend ist, was eine Identität festigt, die nicht von innen kommt.

Und weiter:

„Die Lösung besteht darin, den Schmerz zuzulassen.“

Womit wir wieder bei der Freiheit sind, die von vielen verachtet wird, weil sie eben schmerzvoll sein kann. Nach so viel anspruchsvoller und tiefgründiger Lektüre nun zu einem leichteren Buch:

Über Tyrannei – Zwanzig Lektionen für den Widerstand

Von Timothy Snyder (Professor für Osteuropäische Geschichte an der Yale University)

Wenn es nicht so gut zum Thema passen würde, hätte ich das Büchlein nicht empfohlen, denn es kommt etwas oberflächlich daher. Dafür eignen sich die 20 Lektionen hervorragend als leichte Kost zwischen den Feiertagen.

Snyders Buch ist als Reaktion auf die US-amerikanischen Wahlen entstanden, in denen Trump als Sieger hervorging. Es widmet sich folglich dem Widerstand gegen Populisten.

Einige Thesen finde ich als Online-Journalistin nicht soooo überzeugend, wie etwa „Bemühe dich, dich vom Internet fernzuhalten.“. Aber der nächste Satz glättet die Wogen schon wieder: „Lies Bücher.“

So eine simple Botschaft und doch bedeutet selbige, dass sich die Zeiten geändert haben. In der Tat sieht man kaum noch Leute, die statt des Smartphones ein Buch (oder wenigstens einen E-Reader) in der Hand halten.

Snyders Ratschläge sind überwiegend alltagstauglich und leicht umzusetzen. Da wäre zum Beispiel Lektion 12:

Nimm Blickkontakt auf und unterhalte dich mit anderen.

Leute anzuquatschen gehört nicht gerade zu meinen Lieblingsbeschäftigungen, aber: Wie so oft im Leben ist Eigeninitiative gefragt.


Noch nicht das passende Buch dabei? -Weitere Buchempfehlungen und Lesetipps findest du im folgenden Beitrag>>


Kinderbücher

Ein gutes Kinderbuch zu finden, ist in meinen Augen weitaus schwieriger. Oft sind es gerade die hässlichen und pädagogisch wertlosen Bücher, die meine beiden Kids besonders lieben. Jene hingegen, die ich ihnen schenke, werden kaum eines Blickes gewürdigt…

Deshalb ziehe ich es vor, hier keine Empfehlungen auszusprechen. Außerdem rezensieren andere viel besser als ich, zum Beispiel die Macher von „Bilder im Kopf“, einer Webseite, die sich der Vielfalt in Kinder- und Jugendmedien verschreibt.

Dann bleibt mir nur noch, mit den Worten von Astrid Lindgren zu schließen:

Ja, das grenzenloseste aller Abenteuer der Kindheit, das war das Leseabenteuer. Für mich begann es, als ich zum erstenmal ein eigenes Buch bekam und mich da hineinschnupperte. In diesem Augenblick erwachte mein Lesehunger, und ein besseres Geschenk hat das Leben mir nicht beschert.

LG Anne!!!

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